jeudi 8 septembre 2011

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EROS ET PSYCHE

Über Begehren und Zeichnung

, Weiswald

Ce texte est initialement paru dans le catalogue Alkis Boutlis, publié par la Galerie Suzanne Tarasiève, Paris, en mars 2008

Psyche […] ist eine Seele,
aber gleichzeitig eben auch
eine jugendliche Blöße – einem Begehren hingegeben,
das nicht dasjenige der Seele ist.
Jean Starobinski

Hans Bellmer hat eine Zeichnung angefertigt, die das "Idealportrait der Sade’schen Juliette" genannt wurde. Die verdorbene Schwester der tugendhaften Justine erscheint ganz aus Linien gebildet, die vom Haar in ein aus rohen Muskelsträngen gebildetes Gesicht übergehen. Die Haare selbst erscheinen wie Fasern eines großen Schließmuskels. Aus einem im schwellenden Fleisch eingeschlossenen Auge weint Juliette.

Verzweifelt weint Psyche, als sie Eros verloren hat. Trotz seiner Warnung hatte sie ihn nachts im Schlaf mit einer Lampe beleuchtet, ihn für den kurzen Moment bis zu seinem Erwachen sichtbar gemacht. Er flieht und sie wird umherirrend ihn auf Erden suchen, bis Zeus beide vereint und Psyche unsterblich macht. Sie haben eine Tochter : Boluptas, die Lust.

Der schwarze Strich des Zeichenstifts hebt die lüsterne Juliette aus dem Weiß des Papiers. Linie um Linie fügt er sich zu einem wogenden Bild aus Fleisch. Eros hingegen, nach Aristophanes Sohn des Erebus und der Nyx, der Nacht, Eros tritt in seiner Schönheit aus dem Dunkel im Schein einer Lampe hervor : aus Schatten bilden sich seine Züge. Seine Unsichtbarkeit erzeugte Begehren, das Beleuchten stillte – um im selben Augenblick in das Leid des Entzugs umzuschlagen.

Juliettes Portrait arbeitet, wühlt aus dem Papier heraus, was sich in dessen Weiße verbarg. Psyche erhascht ein flüchtiges Bild, Juliette erhält im Bild einen fleischlichen Körper. Beide Bewegungen, jene zum Licht und jene zum Dunkel, sind Bewegungen der Zeichnung. Sie sind gebunden an Körper, wie der Schatten. Und wie er sind sie getragen von einer Versagung. Der Schatten, den wir nicht umarmen können, Eros, der sich entzieht, Juliette, die in ihrem Fleisch aufgeht : Figuren, denen Begehren Raum gab.
In einer der Erzählungen zur Entstehung der Zeichnung wendet Dibutades, die Tochter eines Töpfers aus Korinth, ihren Rücken dem Geliebten zu, der sie verlassen muss. Ein Gemälde von Jean-Baptiste Regnault zeigt, wie sie die Züge des Geliebten nach dessen Schatten auf einer Felswand festhält. Damit sie das kann, muss der Gezeichnete bildgebendes Element werden, Kontrapunkt zur Bewegung der Dibutades. Die Zeichnung kehrt die Bewegungs-Akteure um : der Geliebte, der eigentlich auf Reisen gehen wird, ist still gestellt, die Liebende, die eigentlich am Ort festgebunden blieb, ist in der Drehung zwischen Vor- und Nachbild in unablässiger Bewegung.
Zwischen beiden spannt sich ein Raum auf. Nicht allein der, in dem sich die Geste des Zeichnens auf der Mauer vollzieht. Es ist ein Raum, der sich mit dem Begehren auftut und nur so lange existiert, so lange er nicht gefüllt, nicht mit Sichtbarkeit gesättigt ist. In ihm ereignet sich die Zeichnung als etwas, das im Dunkel versinkt. Etwas Körperliches, das mit seinem Hervortreten leidet.

Wagen wir die These, dass jede Zeichnung, die ein Kunstwerk genannt werden kann, dem Akt nahe kommt, im Hervortreten zu vergehen. Dem Akt, der als Vorsatz einen Raum öffnet, in dem man sich verlieren will, doch im gleichen Moment ihn füllen muss, um jener Körper zu werden, an den man sich wandte, als man ihn entwarf. Die Zeichnung wäre dann die Spur eines Leidens, das sich als Begehren erinnert : im Raum, den die Linien der Zeichnung hinterlassen haben. Sie zu betrachten, würde bedeuten, jenes Begehren aufzuspüren, das doch mit ihnen vergangen ist. Es würde auch bedeuten, Züge einer Geschichte des Entziehens zu sehen, welche die Zeichnung verkörpert.

Betrachten wir die Zeichnungen von Alkis Boutlis : Wendungen, ein Abkehren, Lust. Verschlungene Referenzen zum Mythos, zu Nymphen und zu Leid, Zitate, vor allem auch in den Keramiken, aus Bellmers und Dalís Formensprache und Vögel, immer wieder Vögel. In antiken Bildnissen begegnet Psyche in Gestalt eines kleinen Vogels oder Schmetterlings, das neugriechische Wort Psyche bedeutet auch "Schmetterling". Das Schauspiel, in dem Aristophanes von Eros’ Zeugung berichtet, trägt den Titel "Die Vögel" und der Chor singt :

"O ihr Menschen, verfallen dem dunklen Geschick, »den Blättern des Waldes vergleichbar« , / Ohnmächtige Zwerge, Gebilde von Lehm, traumähnliche Schattengestalten, / […] / [Wir, die Vögel sind] / Weit älter, als alle Unsterblichen sind ! Denn, daß wir von Eros gezeugt sind, / Ist sonnenklar : denn wir fliegen wie er und gesellen uns gern den Verliebten".

Voir en ligne : copie en pdf du texte de catalogue

notes

Jean Starobinski : 1789. Die Embleme der Vernunft, Paderborn, München, Wien, Zürich, Schöningh, 1981 (Hg. u. m. einem Vorw. vers. von Friedrich Kittler. Aus d. Französ. v. Gundula Göbel.)

Zit. nach : Roland Villeneuve : Grausamkeit und Sexualität, Berlin, Rixdorfer Verlagsanstalt, 1988, S. 348

Vgl. Georg Witte : « Die Phänomenalität der Linie – graphisch und graphematisch », Werner Busch (éd.), Randgänge der Zeichnung, München, Fink, 2007, p. 29-54, hier 36

"Dibutades oder die Erfindung der Zeichen-Kunst", 1785, vgl. Jacques Derrida : Aufzeichnungen eines Blinden, München, Fink, 1997, p. 55, Abb. 20

All photos : Alkis Boutlis, courtesy Galerie Suzanne Tarasiève