lundi 23 avril 2012

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In die Welt gestellt

Zur Rolle der Kunst im Globalisierungs-Prozess

, Weiswald

Bevor der hier gestellten Frage nachgegangen werden kann, welche Rolle international agierende bildende Künstler und Kuratoren "als Vermittler zwischen ‘Kunst’ und ‘Welt’" (Rekade 2001) in der Vorstellung der Mondialisierung haben, soll zuerst die Frage behandelt werden, was "Welt" ist. In der Unterscheidung in "Globalisierung" und "Mondialisierung" hat man versucht, die Differenz zwischen Objekt-Welt und Ich-Welt zu erfassen. Letztlich beschreiben beide Begriffe jedoch dasselbe Phänomen.

I. Zur Darstellung

Was ist "Welt" ?

Bevor der hier gestellten Frage nachgegangen werden kann, welche Rolle international agierende bildende Künstler und Kuratoren "als Vermittler zwischen ‘Kunst’ und ‘Welt’" (Rekade 2001) in der Vorstellung der Mondialisierung haben, soll zuerst die Frage behandelt werden, was "Welt" ist. In der Unterscheidung in "Globalisierung" und "Mondialisierung" hat man versucht, die Differenz zwischen Objekt-Welt und Ich-Welt zu erfassen. Letztlich beschreiben beide Begriffe jedoch dasselbe Phänomen.
Es handelt sich um eine die geographische wie kulturelle Welt umspannende Intensivierung von Interdependenzen. Je nach Blickwinkel wird das unterschiedlich gewertet. Entweder als Nivellierung kultureller wie ökonomischer Eigenheiten zum Zwecke der Gewinnmaximierung. Oder als Realisierung der lange ersehnten Internationalisierung von Gesellschaften und einer damit verbundenen Verbreitung von freiheitlich demokratischen Grundhaltungen (vgl. Fuchs 2003 : 3ff.). Beide Einschätzungen betonen als Hauptzug der Globalisierung den Zuwachs an Bewegungsfreiheit, das Zusammenrücken von räumlich Entferntem. Sie entwerfen eine Vision weltumspannender Wirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten nie dagewesenen Ausmaßes, an denen tendenziell jeder teilhaben kann. Ein Wunschbild, worauf nicht zuletzt Saskia Sassen in ihren Überlegungen zur globalen Stadt hinwies, indem sie betonte, dass es "unzureichend" sei,

"die Räumlichkeit der wirtschaftlichen Globalisierung nur im Sinne der Hypermobilität und der Komprimierung von Raum und Zeit – der dominanten Eckpunkte der aktuelle Konzeptualisierung – zu verstehen. Hypermobilität und Raum-Zeit-Komprimierung wollen erzeugt werden, und dies erfordert eine enorme Konzentration an Material und weniger mobiler Einrichtungen und Infrastrukturen. Diese müssen verwaltet und gewartet werden und bedingen somit zumeist ortsgebundene Arbeitsmärkte für Fachleute ebenso wie für Billigarbeitskräfte." (Sassen 2002 : 26).

Die Mobilität nimmt zu, doch nicht für alle. In globaler Dialektik fordert sie Sesshaftigkeit, ja verstärkt sie womöglich noch, indem sie den immobilen Stadt-Bürger infrastrukturell notwendig macht. Gleichwohl : von beiden Seiten, aus der Sicht des Reisenden wie des Daheimgebliebenen, zeichnet der Begriff "Globalisierung" das Bild einer spielend erfassbaren Welt. Ein Bild, das bereits Echo von Urbanitäts und Globalitäts-Wünschen der späten Moderne ist. So formulierte der Situationist Constant Nieuwenhuys 1966 : "Der homo ludens ist ein Nomade, dessen Aktionsradius den ganzen Globus umspannt" (zit. nach Westheider 2001 : 9). Scheinbar mit einfacher Geste ist diese Welt zu umfassen, wie eine marmorne Kugel, die der Hand schmeichelt, die sie ergreift.
Von welcher "Welt" ist die Rede ? "Globus" ist ein vergleichsweise junges Wort, es ist erstmals vor dem 15. Jahrhundert nachgewiesen, damals noch eng an die lateinische Bedeutung "Kugel, Klumpen" gebunden. Der Begriff "Welt" hingegen ist relativ alt, das etymologische Wörterbuch datiert ihn vor das achte Jahrhundert. Es ist im Wortursprung ein zeitlicher Terminus, "wira-aldo", eine Zusammensetzung aus "Mensch" und "Alter", mit der bereits ausgedehnten Bedeutung "Zeitalter" (Kluge/Seebold 1999 : 885). Greifen wir diese Etymologie auf, so lässt sich "Welt" als etwas definieren, das dem Menschen zustößt, das ihn angeht, das mit ihm wächst und ihn verändert, wie das Altern. "Welt" haftet "meinem Leib [an] wie das Nessoshemd" (Merleau-Ponty 1993 : 152).
Der Globus ist, anders als die Welt, ein Objekt. Wir sind in der Welt, doch wir blicken auf den Globus. Und mit ihm : Die Kugel vor unserem Auge korrespondiert der Kugel, die das Auge selbst ist. Das Bild erhielt mit der Verbreitung des Internet und seiner Mediatisierung enorme Präsenz. Kaum ein Unternehmen, kaum ein Plakat, das im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht entweder Auge oder Weltkugel oder beides miteinander verschmolzen darstellt (vgl. Abb. 1). Mit Anbruch des Kommunikationszeitalters seit Mitte der 80er Jahre sind neben der Netz-Metaphorik (vgl. Sennewald 2004) Globus und Auge die prominentesten Sinnbilder der öffentlichen Kommunikation geworden.

Die Welt im Auge

Das lenkt den Blick auf die Präsenz des Auges in der Bild-Geschichte. In der Renaissance, dem Zeitalter der Reisen, Entdeckungen und des Individuums (vgl. Burckhardt 1988 : 203ff.), bildet die geometrale Zentralperspektive ein einäugiges Subjekt. Nahezu sämtliche Konstruktionszeichnungen dieser seither vorherrschenden Perspektive zeigen das Sehfeld ausgehend von einem Auge, in dessen Blick sich die Welt zu einem geometrischen Musterbogen ordnet (vgl. Oskui 2004 : 96-128). Eine Zentrierung des Auges, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitreichende Kritik fand (vgl. Merleau-Ponty 1964 : 21ff. ; Derrida 1997 : 87ff.).
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in der Aufklärung, trat das Auge als isoliertes Organ in den Vordergrund der Bildwelten. Étienne-Louis Boullée realisierte seinen utopischen Entwurf für ein Newton-Kenotaph als Riesen-Kugel, die in einer Verdoppelung das Himmelszelt in das Innere einer Weltkugel projiziert. Besonders im Schnitt erinnern die Entwurfszeichnungen an ein gigantisches Auge, in dem der Betrachter im Inneren an der Stelle des Sehpunktes steht und das, unbeeinflusst von der Außenwelt, aus sich heraus strahlt. "Die Kugelform "bewirkt durch ihre Krümmung, dass der Betrachter sich dem, was er ansieht, nicht nähern kann" […]", zitiert Ludwig Seyfarth den Architekten und fährt fort : "Boulées Beschreibung entspricht genau dem reinen Sehbild des Panoramas, dem "Kino" des 19. Jahrhunderts (das erste wird 1794 in London eröffnet, 1800 die ersten in Paris und Berlin)" (Seyfarth 1989 : 111). Eine Arena, die Sehen und Gesehen-Werden zu einem Raum-Ereignis verschmilzt.
Andere Bilder, wie die von Daniel Chodowiecki realisierten orbes pictus, isolieren das Auge als Sinnbild des männlichen Blicks (Hofmann 1989 : 172ff.). Lavater wird über Form und Gestalt des Auges Charakter- und Persönlichkeits-Eigenschaften ablesen können (vgl. Barta-Fliedl/Geissmar-Brandi 1999 : 132, 136). Die ästhetisch-kunsttheoretische Konsequenz aus der Verschmelzung von Auge und Globus, von Licht und Erkenntnis und deren Aufhebung im Kunstwerk findet sich in der Farben-Theorie des romantischen Künstlers Philipp Otto Runge. Er ordnete die Farben nicht mehr allein im Kreis oder im prismatischen Dreieck an, sondern trug sie auf einem durch Längen- und Breitengrade unterteilten Globus ein (vgl. Hofmann 1989 : 408 ; Runge 1982 : 243ff.). Mit der Romantik und deren Erkenntnis der Interdependenz von Darstellung und Wahrnehmung wurde die Welt in einem Farben-Globus repräsentierbar, der, wie Werner Hofmann betonte, "nicht dem Geometrismus der "vermessenen Welt" an[gehört] ;" vielmehr zeige, so fuhr Hofmann fort, der Globus die "Summe" von "Runges Welterklärung", er könne "in der Kugel ein Konfliktpotential unterbringen, das einem Gesetz gehorcht. Dieses wieder verweist auf den Schöpfer. "La contemplation du Créateur", dieses Ziel, das Boullée der Architektur setzte, kann sich auch beim Betrachten der Farbenkugel einstellen." (Hofmann 1989 : 408)
Die Schöpfer-Anschauung wird schließlich zur Anschauung des Betrachters selbst. In seinem Auge entsteht, was er als farbige Welt erkennt. Aus dem monokularen Subjekt der Aufklärung ist ein dialogisches Ich geworden, das sich in jedem seiner Gegenüber als In-der-Welt-Seiendes erkennen kann. In der Moderne wird sich dieses Spiegel-Verhältnis erneut verschieben und mit Rimbauds „Ich ist ein Anderer“ eine Rezentrierung finden.

Im Zwischen-Raum

Auge und Globus, Blickendes und Erblicktes, schieben sich immer mehr übereinander. Die Welt liegt dazwischen. Sie gleicht jenem zweiseitigen Schirm, wie ihn Leonardo in seiner Skizze eines Zeichners dargestellt hat (vgl. Abb. 2) : Im Blick auf und durch das Gewebe erscheint ein Globus, der, würde er zurück blicken, sich im angestrengt kopierenden Auge des Zeichners wiedererkennen würde. "Die Blicke, die ich auf der Welt herumspazieren ließ", schrieb Merleau-Ponty, "jemand hat sie vom anderen Ende her aufgegriffen und wendet sie gegen mich, um mich meinerseits zu treffen" (Merleau-Ponty 1993 : 150).
Die entscheidende Frage im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist, wie diese Ich-Welt dargestellt werden kann. Wenn, wie Nietzsche schrieb, mit der philosophischen Abwertung der "wahren" auch die "scheinbare" Welt "abgeschafft" wurde, dann bleibt nur der Zwischenraum in einem phantomatischen Welt-Gebäude (Nietzsche 1930 : 100). "Wahre" und "scheinbare" Welt sind, wie in der Fortführung des Projekts der Moderne Baudrillard nachdrücklich gezeigt hat, aufgehoben im Simulacrum (vgl. Baudrillard 1978 ; Kamper 1994). Das heißt vor allem : Sie sind noch in der Abwesenheit anwesend, als Spur, als Bahnung oder Einrichtung jenes Raumes, der nun als "Welt" erfahren wird. Im Globus, mit Rekurs auf Boullée wäre zu präzisieren : in seiner Gestalt wie in ihm räumlich platziert, erblicken wir die Welt wie sie uns entspricht. Eine Welt, die überschaubar und zugleich unnahbar bleibt. Eine Welt, die wir "im Auge" haben.
"Beim Anblick von Kaffeehausbesuchern", so Roland Barthes, "bemerkte jemand nicht zu Unrecht : "Sehen Sie doch, wie tot sie wirken ; in unserer Zeit sind die Bilder lebendiger als die Menschen." Eines der Kennzeichen unserer Welt ist vielleicht diese Umkehrung : unser Leben folgt einem verallgemeinerten Imaginären" (Barthes 1989 : 129). Bilder sind, was sich das Auge einrichtet. Sie bilden die notwendige Differenz zwischen Sehendem und Gesehenem, in der "Welt" als Welt-Alter liegt. In und mit ihr tritt ein Bild hervor, stellt sich zwischen Erfahrung, Erleben und Wahrnehmung und richtet "Welt" ein.

Braucht die Welt Darstellung ?

Kehren wir zurück zu der Frage, wie sich diese Welt darstellen lässt, indem wir zunächst die Frage stellen, ob sie überhaupt eine Darstellung braucht. Wenn sie als Zwischenraum existiert, dann tritt sie an uns heran, ohne dass wir sie als Bild wahrnehmen müssten. Und dennoch wird, gerade durch ihre Stellung dazwischen die Präsenz des Bildes, seine Vorstellung zum Dreh- und Angelpunkt dessen, was wir von Welt erleben können. Mit Rückgriff auf Merleau-Pontys Metapher ließe sich sagen : Um Welt zu erfahren, müssen wir das Nessoshemd spüren, doch um es zu spüren, müssen wir es imaginieren. Welt braucht nicht nur Darstellung, sie gebraucht sie um hervorzutreten, zu existieren und im gleichen Augenblick in der Darstellung zu verschwinden. Gleicht das Globus-Auge Leibniz’ fensterloser Monade, die sich auf sich selbst abbildet, so gilt für die mundus als vorgestellter Welt, was Leibniz für die Seele schrieb : "Aber eine Seele kann in sich selbst nur das deutlich Vorgestellte lesen ; sie kann nicht auf einen Schlag auseinanderlegen, was in ihr zusammengefaltet ist ; denn diese Fältelung geht ins Unendliche" (Leibniz 1994 : 28). Welt ist ihr Bild. Insofern lässt sie nicht sich darstellen sondern sie lässt darstellen. Welt, so wie sie uns betrifft, fordert uns zur Darstellung auf und sie lässt zugleich keine Wahl, sie nicht darzustellen.
Was bedeutet das für jene Identität von Globus und Auge ? Zunächst soviel : die Welt-Bilder hindern sie am endgültigen Ineinander-Aufgehen. Das Bild des Narziss, das sich ihm entgegenstellt, hindert ihn, sich mit dem Objekt, das ihn ansieht, zu verschmelzen und somit sich zu töten. Wir alle kennen den Narziss-Mythos : Er stirbt schließlich doch und zwar just durch die Erkenntnis, dass es sein Bild ist, in das er sich verliebt hat. So verlor das Bild seine Darstellungsfunktion. (vgl. Ovid 1986 : 74f.)
Das Konzept des Bild-Schirms (écran) als Reflexions-Medium des Subjekts fasste schon Lacan in seiner Wirkung für das Subjekt zusammen : "Das Bild ist sicher in meinem Auge. Aber ich, ich bin im Tableau" (Lacan 1987 : 102). Das Bild, das sich dazwischenstellt, um sich im Subjekt vorzustellen, ist sein Überlebensgarant. Übertragen auf Auge und Globus ermöglicht erst das Bild, dass sich eins im anderen erkennt, dass sich das blickende Auge im Globus als seiner Welt erkennbar wird. Dieses Bild ist transparent, eine Membran. Mit Bezug auf Ted Nelson, den Apologeten des Hypertext, hat Byung-Chul Han – nicht ohne kritische Ironie – geschrieben :

"Windowing ist also der hypertextuelle Modus der Erfahrung. Es eröffnet die Welt. In diesem hypertextuellen Universum gibt es keine für sich isolierten Einheiten, also keine "subjects" mehr. Alle spiegeln einander oder lassen in sich Andere durchscheinen. […] Der Bewohner des hypertextuellen Universums wäre eine Art Fensterwesen, das aus windows bestünde, durch die es die Welt empfinge." (Han 2005 : 49f.)

Durchblick auf Geschichte

Ernst Panofsky hat gezeigt, dass Kunst-Imago und Welt-Vorstellung auf eine Weise zusammenhängen, die ihre Bindung zum Modus der Denkbarkeit von Welt werden lässt (vgl. Panofsky 1975 : 36-67). So wurde die geometrale Zentralperspektive möglich, indem ein historisches Bewusstsein entstand. Zugleich konnte dieses erst in jenem Raum als Tiefe und damit als temporale Staffelung ordnender Bilder zu sich kommen. Das Bild gewährt, in einem Prozess des Wiedererkennens als symbolische Form und der Übertragung eines Empfindungsgehaltes im Akt der Aneignung, eine Bewusstwerdung des betrachtenden Subjekts, indem auf dieses zurückfällt, was – im räumlichen wie temporalen Sinne – hinter dem Bild liegt. Sehr treffend hat Stéphanie Katz dieses "Zurückfallen" beschrieben, indem sie die Entstehung ihrer Fragestellung nach dem Bild-Schirm als Moment der Betroffenheit in den Höhlen von Altamira schilderte :

"Ici et là, sur le territoire du visible des trois derniers millénaires, une réminiscence du projet d’Altamira insiste. De toutes parts, c’est la manifestation d’une image-écran qui apparaît, image biface qui contrarie toutes les dispositions de complétude de l’image-reflet monoface à laquelle nous croyons toujours avoir affaire" (Katz 2004 : 11).

Leibniz’ "Fältelung" aufnehmend, ließe sich das Verhältnis von Reflexion, Bild und Subjektivierung auch als partielles Entfalten oder Entrollen (evolutio) eines Welt-Gemäldes beschreiben, das wie ein gefallener Umhang zu den Füßen des nackten Subjekts liegt. Mit jeder sich öffnenden Falte entstehen neue Nischen und Verwerfungen, aus jeder sich glattziehenden Fläche des Gewebes tritt der durch die Zeiten hindurch abgelagerte Staub der Bedeutung hervor. In jenen Nischen wohnt, wie Georges Didi-Huberman mit Aby Warburg gezeigt hat, die Ninfa, Nymphe der Bewegung und des Rückverweises, durch welche die inneren Bewegungen der Vergangenheit, die sich in Bildern sedimentiert haben, neu zum Vorschein kommen (Didi-Hubermann 2002 : 11). [1] Was wir sehen, wenn wir einzelne Falten öffnen, ist nicht das entscheidende. Das Bild der Zeit besteht vielmehr in den kurz aufwallenden Staubwolken, die uns den Atem anhalten lassen und in deren Geruch die Erinnerung wohnt.
Damit wird die Verschmelzung von Globus und Auge, von Sehendem und Gesehenem, verkompliziert. Nun kann nicht mehr einfach gelten, dass ein zwischen Ding-Welt und Subjekt tretendes Bild die Aufhebung des einen im anderen verhindert – und damit letzteres als reflektierendes, distanziertes Ich konstituiert. Vielmehr wirkt das Bild in doppelter Weise verhindernd und fördernd. Was sich durch die Membran hindurch abzeichnet, bewirkt erst ein Begehren nach Aneignung, das im gleichen Zuge durch das Bild verhindert wird. Anders gesagt : Das Subjekt, das sich in der Ding-Welt erkennt, die im Blick durch das Bild Geschichte erhält, ist gehalten, um sich als solches zu manifestieren, sich die Ding-Welt einzuverleiben. Genau dieses Bestreben garantiert, dass es eine totale Aufhebung in der Ding-Welt immer verfehlt und sich das auf diese Weise verspannte Gefüge erhält.

Ein Ort in der Welt

Weiter oben wurde festgestellt, dass "die Welt dazwischen liegt", womit gemeint war, dass jene "Welt" – in der das etymologische "Menschen-Alter" noch anklingt, und die sich von Ding-Welt ("globus") wie Ich-Welt ("mundus") unterscheidet – einen Platz einnimmt, räumlich situiert ist, als topos wirkt. Es ist ein Ort, auf den sich das Subjekt bezieht und der es bezieht, im dreifachen Sinne der Einkleidung, der Referenz und des Erhalts. Dieser dreifache Beziehungs-Begriff gibt recht genau wieder, was das Geflecht aus Welt, Bild und Ich ausmacht, das Jacques Lacan als Borromäischen Knoten aus imaginären (Einkleidung), symbolischen (Referenz) und realen (Erhalt) Bezügen beschrieben hat (vgl. Lacan 1991 : 127ff.). Für uns wird hier der Raum interessant, der zwischen und um die ineinander gelegten Stränge des Knotens entsteht. Welcher der drei Dimensionen gehört er an ? Oder ist er jenes Flimmern, das Sartre als Bild für den Sinn gefunden hat, der um die Stränge flimmert wie "Hitzedunst" (Merleau-Ponty 1993 : 82) ? [2]
Der hier gemeinte Raum ist nicht wahrnehmbar, denn er ist die Wahrnehmung selbst. Nicht in ihm spielt sich die Verschlingung von Imaginärem, Realem und Symbolischem ab, sondern mit ihm. Er entsteht im Prozess der Subjektivierung und legt sich um das Ich wie das Nessoshemd. Dieser Raum bedeutet unsere Welt und gibt somit dem Subjekt einen Ort. Einen wechselnden, sich verschiebenden und rutschenden Ort, doch gleichwohl einen topos.
Wir haben nun auseinandergelegt, in welche Sphären sich Welt differenzieren lässt. Es ist deutlich geworden, dass sowohl Globus und Mundus miteinander verschlungen sind, als auch, dass es der Abstand ist, die Distanzierung zwischen ihnen durch das Gewebe des Bildes, das den Blick auf die Geschichte lenkt, durch den beide in der Verschlingung gleichzeitig in Bewegung gehalten und fixiert, nämlich aufeinander bezogen werden. "Welt" als Welt-Alter wäre in dieser Betrachtung der Raum, der um die objektivierte wie die erfahrene Welt "flimmert". Damit ist auch deutlich geworden, dass die Frage nach der Darstellung sich nicht mehr in Abhängigkeit von Kategorien wie Materialität, Form oder Bedeutung aufwirft. Es ist auch nicht möglich, zu behaupten, es gäbe eine Welt ohne Darstellung oder die Darstellungen seien Abbilder oder Illustrationen von Welt. In der Beziehung von Welt und Darstellung gibt es, wie zwischen Sprache und Sinn oder zwischen Leib und Seele "weder ein Primäres noch ein Sekundäres" (Beauvoir nach Merleau-Ponty 1993 : 129).

II. Zur Kunst

Was kann "Kunst" ?

Indem deutlich wurde, wie zu differenzieren ist zwischen Globus, Mundus und Welt-Alter und dass diese in einem Darstellungs-Verhältnis miteinander verbunden sind, wurde auch klar, welche konstitutive Rolle die Darstellung – im weitesten Sinne als "Bild" bezeichnet – für unser In-der-Welt-Sein spielt. Mit diesem Schritt wird neben dem Faktum, dass Kunst und ihre Formen keinesfalls akzidenziell zur Welt hinzutreten die Frage drängend, wie das, was auf dem Bild zu sehen ist, durch das hindurch die Welt uns (an)erkennt, gestaltet werden kann.
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts brach das sogenannte Kommunikations-Zeitalter an, repräsentiert z.B. in der Konjunktur der "Netz"-Metaphorik. Es wurde das "Ende der Gutenberg-Galaxis" ausgerufen (vgl. Bolz 1995) und der Begriff des Textes – von der "Lust am Text" (Barthes 1992) bis zur "Stadt als Text" (Butor 1992 ; vgl. Smuda 1992) – fand Anwendung auf fast alle Lebensbereiche. Zugleich wandelte sich die Aufmerksamkeit für die Bilder, der sogenannte iconic turn setzte ein, dessen Bedeutung Hubert Burda in dem Satz gefasst hat : "Es sind nicht Texte, sondern Bilder, die die Wende zum 21. Jahrhundert markieren und sich in unsere Köpfe eingebrannt haben" (Maar/Burda 2004 : 11).
In diesem Zeitraum entstanden im Feld der bildenden Kunst zwei wichtige und für die gegenwärtige Entwicklung des "Kunst-Betriebs" entscheidende Bewegungen "engagierter" Arbeit im Kunst-Feld : zum einen Institutions-Kritik, zum anderen Internationalisierung, spezifisch geprägt dadurch, dass unabhängige Kuratoren ihre Arbeit aufnahmen bzw. breit wahrgenommene Ausstellungen veranstalteten. Als Schlüsselfiguren der Institutions-Kritik gelten Künstlerinnen wie Martha Rosler, Renee Green, Andrea Fraser und Künstler wie Rirkrit Tiravanija (vgl. Möntmann 2002). Als Auslöser der Bewegung "freier" Kuratoren gilt der gerade verstorbene Harald Szeemann (vgl. Rekade 2005 ; Rekade 2001 ; Greenberg et al. 1996). [3]
Beide Bewegungen haben auf je unterschiedliche Weise zu einer Diskussion beigetragen, die im philosophischen Feld von Judith Butler in ihrem – nach ihren Arbeiten zur Geschlechter-Frage (vgl. Butler 1991 ; 1997) – ungleich weniger beachteten Essay zur Frage der Subjektivierung auf den Punkt gebracht wurde (vgl. Butler 2001). Es ist die Frage, wie, wenn man nach Herr-Knecht-Dialektik und nach der Erkenntnis, dass das Unbewusste nicht "Herr im eigenen Haus" ist, das Subjekt noch aktiv politisch handeln kann ohne sich sogleich in den dialektischen Abhängigkeiten zur Macht, in den Strukturen ihrer Instaurierung qua Unterwerfung und Widerstand, zu verstricken. "Will das Subjekt weiterleben," so schreibt Butler, "muß es sein eigenes Begehren durchkreuzen. Und damit das Begehren triumphieren kann, muß das Subjekt von Auflösung bedroht sein. […] das "Ich" entsteht unter der Bedingung, daß es seine Formierung in Abhängigkeit, daß es seine eigenen Möglichkeitsbedingungen verleugnet." (Butler 2001 : 14f.) Ein solches Subjekt, für das "im Rahmen der Subjektivation […] Unterordnung der Preis der Existenz [ist]" (ebd. 25), verfehlt sich mit jeder Handlung, mit der es sich zu verwirklichen trachtet. Doch gerade diese Verfehlung konstitutiert es als von mächtigen Strukturen (symbolischer Ordnung) abhängiges Subjekt. Ein freies Subjekt, das von sich unabhängig seine Bedingungen ändern könnte, gibt es demnach nicht.
Die zitierten künstlerischen wie kuratorischen Bewegungen setzten sich mit diesem Problem auseinander. Sie traten gerade nicht an, die Bedingungen des künstlerischen Subjekts zu ändern, sondern arbeiteten an den Subjektivierungs-Prozessen. Überdecken sich Auge und Globus, Betrachtendes und betrachtete "Welt", wird somit das Subjekt in seiner Bild-Welt aufgehoben, so stellt sich parallel dazu die Frage, wie es in ihr noch wirken, handeln, gestalten kann. Im Feld der Kunst ist die Antwort in den 90er Jahren nicht mehr der Entwurf eines schöpferisch die Welt gestaltenden Subjekts, sondern eine Wendung auf die Gestaltungsbedingungen selbst.

Die Welt der Schau

Auf der Startseite der schon 1975 gegründeten amerikanischen Vereinigung unabhängiger Kuratoren blickt den Internauten eine Augen-Sammlung an (http://www.ici-exhibitions.org, 050405). Anders als im ausgehenden 18. Jahrhundert sind hier die Augen isoliert, ohne Lid und Tränensack, und vor allem nicht im Profil, sondern frontal aufgenommen. Es handelt sich um freigestellte Pupillen mit verschieden weit geöffneter Iris, fast könnten es raffiniert gegossene Glas-Scheiben sein. Eines der Mitglieder im vielköpfigen Ausstellungs-Komitee des ICI ist Okwui Enwezor, einstiger Direktor der documenta 11. Der freie Kurator nigerianischer Abstammung hatte die Kasseler Kunst-Ausstellung im Jahr 2002 zu einer Manifestation postkolonialer Standpunkte und globaler Kunst-Positionen gemacht. Erklärtes Ziel der Schau, bei der die Hälfte der 118 geladenen Künstler aus der südlichen Hemisphäre kamen oder migrantischer Herkunft waren, war, eine der Konsequenzen aus der Internationalisierung der Kunst zu ziehen und deutlich zu machen, dass sich der Kunst-Diskurs längst nicht mehr in der ebenfalls als Herr-Knecht-Dialektik beschreibbaren Abhängigkeit "eurozentrischer" Definitionsmacht zu "dem Rest der Welt" aufgeht.
Enwezor und sein Kuratoren-Team dehnten die documenta aus, ließen ihr mehrere Plattformen vorangehen, während der namhafte, kritische Denker in verschiedenen Orten der Welt (Wien/Berlin, Neu Dehli, St. Lucia und Lagos) sich zu teils per live-stream über das Internet übertragenen Diskussions-Veranstaltungen versammelten und zu zentralen Problemen der Globalisierung diskutierten. So wichtig und folgenreich dieser Schritt und die dann in Kassel stattfindende Ausstellung war, so deutlich wurden auch die Probleme dieser "Welt-Schau". Was als Plattformen in die Länder international bemerkte Diskussionen tragen sollte, blieb meist auf den Reise-Club global agierender Kunst-Betriebler beschränkt. Von den Orten selbst, wie übrigens seit Existenz der documenta auch in Kassel selbst immer wieder bemängelt wird, bemerkte der umherziehende Kunst-Zirkus wie auch das interessierte Publikum am heimischen Computer-Bildschirm wenig.
Statt dass die "fremden" Schauplätze auf die herrschenden Bühnen getragen und letztere damit verändert worden wären, schien sich die Bühne schlicht auszudehnen. Das ließ sich unter anderem an den Veränderungen auf dem Kunst-Markt bemerken, der, wie einst die "primitive Kunst" durch die Aufnahme der Moderne, nun die "engagierte" Kunst der Drittwelt-Länder und den meist mit ihnen verbundenen Transnationalistäts- und Migrations-Diskurs zum Label machte. Das handelnde Subjekt hatte, wieder einmal, seine Absicht verfehlt und sich, obwohl es doch nun im global-engagierten Austausch aufgehen wollte, als rezeptives, perspektivierendes und letztlich herrschendes Subjekt neu eingerichtet.
Vielleicht lag diese Konsequenz schon in der Ausgangsfrage, die eine Verortung der aktuellen Kunst in einer durch Internationalisierung, Migration und Pluralität geprägten Gesellschaft anstrebte. Statt sich auf die Dynamik der Zwischenräume einzulassen, wurde nach einem gemeinsam zu besetzenden Ort gesucht : "Wo genau in diesen Zwischenräumen zwischen lokalem Geburtsort und vorübergehendem Aufenthaltsort", so fragte Enwezor, "lassen sich das Lokale und das Globale ausmachen ?" (Müller 2002) Dieser Ort war, für 100 Tage, die documenta und er wurde zum Topos, zum Referenz-Ort für die danach einsetzende Re-Formierung des Kunst-Feldes.

Im Freiheits-Raum

Eine andere der Ausstellungen, die vom ICI unterstützt wurde, war "do it", von dem Schweizer Hans Ulrich Obrist. Der Kurator am Museum für Moderne Kunst der Stadt Paris konzipierte hier, damit einem seiner Hauptthemen folgend, eine Ausstellung von Noch-Nicht-Kunst. Die Schau bestand aus Handlungsanweisungen, die Werke waren also erst noch vom Publikum, nach diesen Anweisungen, zu erstellen. Obrist arbeitet seit seinen Anfängen als autodidaktischer Kunst-Kenner an Kunst in Bewegung und neuen Formen und Konzeptionen von Ausstellung. Er darf als Prototyp einer Kuratoren-Generation gelten, die in den frühen 90er Jahren die Arbeit aufnahm und in der Folgezeit maßgeblich das internationale Ausstellungsgeschehen beeinflusste. Diese unabhängigen Kuratoren zeichnen sich vor allem durch ein enormes Reisepensum aus : weltweit sind sie nicht nur auf der Suche nach neuen Talenten, sondern veranstalten auch mit lokalen Künstlern zusammen Ausstellungen an bisher vom eurozentrischen oder amerikanischen Kunstbetrieb ignorierten, mithin im Kunst-Diskurs unterrepräsentierten Orten der Welt.
Das führte zu Befürchtungen, namentlich von dem Kurator und Direktor der 50. Biennale von Venedig, Francesco Bonami, "die Groß-Kuratoren des globalen Zeitalters […] könnten zu Safariveranstaltern werden, die Material für den Kunst-Zoo sammeln, dabei Künstler und Kunstwerke aus ihren lokalen Zusammenhängen reißen und ihre Identität ausbeuten" (Fuhr 2003). Eine Befürchtung, die nur in Teilen zutrifft, denn zunächst eint die neuen Kuratoren das Interesse an der Schaffung flexibler und innovationsfähiger Strukturen, da, so der chinesische Kurator Hu Hanrou, "die Strukturen und Systeme in Europa und den Vereinigten Staaten mittlerweile so statisch sind, dass das auf Kosten künstlerischer Innovation geht" (Kittelberger 2002). Mit der Ausstellung "Cities on the move" realisierten Obrist und Hanrou 1997 eine Ausstellung, die als Plattform dienen sollten, auf der zeitgenössische künstlerische Positionen verscheidener Kulturen und Nationen versammelt werden. Das Postualt neuer kultureller Identitäten im Katalog liest sich wie das Programm für den Kurator im Freiheits-Raum : "The new cultural identities are claimed to be open, unstable, ever-changing, hybrid and transgressive of established boundaries" (zit. nach Rekade 2001).
Während von künstlerischer Seite der Ausstellungsraum von Museen, Kunsthallen oder Galerien entweder angeeignet (Rosler), de-sakralisiert (Fraser), re-kontextualisiert (Green) oder perforiert (Tiravanija) wurde, erarbeiteten die "unabhängigen" Kuratoren einen, wie Szeemann es nannte, "Freiheitsraum" zwischen Institution und Künstler, den sie zunehmend ausgestalteten. Eine inzwischen kaum noch überschaubare und stetig wachsende Zahl internationaler Biennalen (zuletzt vielleicht am spektakulärsten die Moskau-Biennale 2005) ist nur eine Folgewirkung dieser "Räumung" im Bezugssystem Kunst. Entscheidend ist, dass mit den 90er Jahren die Frage nach den Spiel- und Interventionsräumen der Kunst neu und nachdrücklich gestellt wurde. Autor- und Werkbegriff, schon seit den frühen 60er Jahren im Umbruch, bekamen eine neue Bedeutung, aus dem Künstler als Schöpfer wurde der Werk-Produzent, der Gestalter und schließlich der Aktivist. Die Arbeiten tendierten weg vom statischen Objekt und hin zum Ephemeren, zur zeitlich begrenzten Intervention, die temporär Wahrnehmungen und Einstellungen verändern wollte.
Eine Antwort auf die Frage welche Möglichkeiten der Welt-Gestaltung es gibt, läge in der Schaffung von Nicht-Orten, von Transitions-Räumen, die für den Moment ihrer Erfahrung den Blick auf die Welt verschieben.

Darstellung als Dynamisierung von "Welt"

Mit der Bewegung der unabhängigen Kuratoren, die sich durch Prozessorientierung und Komplexitäts-Bereitschaft auszeichnet, wurde auch Rollentausch möglich. So trat der Künstler Rirkrit Tiravanija auch als Kurator, namentlich der mit dem Kurator Hans Ulrich Obrist und der Kuratorin Molly Nesbit veranstalteten Reise-Ausstellung "Utopia Station" auf. Im theoretischen Konzept-Text zu dieser Schau, die als Plattform Werke ausstellte, die vor allem als Diskussions-Anstöße wirken sollten und durch entsprechende Veranstaltungen begleitet wurden, nehmen die Kuratoren Bezug auf eine Debatte zwischen Theodor W. Adorno und Ernst Bloch im Jahre 1964. Ersterer konfrontierte hier letzteren mit der Behauptung, die Utopien der Gesellschaft seien nun realisiert : ""One could perhaps say in general," he noted, "that the fulfillment of utopia consists largely only in the repetition of the continually same "today"." (http://www.e-flux.com/projects/utopia/about.html, 120405) Bloch erwiderte, mit Bezugnahme auf Brechts "etwas fehlt", mit einer Frage : "What is this ’something’ ?" Und er antwortete : "If it is not allowed to be cast in a picture, then I shall portray it as in the process of being." (Ebd.)
Die Ausstellungs-Organisatoren nahmen diese Wendung des Utopischen vom Nicht-Ort und damit, im Sinne Adornos, vom Ort des Stillstandes, zum Prozesse selbst auf und gestalteten ihre "Station" sowohl im Aufbau wie in der Referenz und der Produktion als prozessualen Raum. Utopie sollte hier durch das Zusammentragen von Beiträgen gestaltet, nicht definiert werden, der Begriff selbst zum "catalyst" oder "fuel" werden, um eine aktivistische Debatte zur Gestaltung der Welt voranzutreiben. Martha Rosler, die ebenfalls hierzu beitrug, schrieb : "utopia is, […] what moves" (Ebd.). Man könnte ergänzen : Kunst ist Utopie und damit permanent in Bewegung. Auf diese Dynamik zu reagieren, sie zu fördern und zu gestalten, ist zweifellos ein Verdienst jener unabhängigen Kuratoren, die zu dieser Bewegung beigetragen haben. Sie suchen weniger nach Darstellungen des Zwischen-Raumes, als vielmehr danach, solche Zwischen-Räume entstehen zu lassen und in Bewegung zu halten.
Auch das hält Probleme bereit, die bisher ungelöst sind. Sie reichen von der erwähnten "Bedienung" des Kunstmarktes über die Neigung zur Schließung als "Safari-Club" und einer Wiederholung des Gleichen (die Kuratoren zeigen international immer wieder ihre "Lieblings-Künstler"), bis hin zu schlichter Überforderung sowohl der künstlerischen wie der kuratorischen Leistungsmöglichkeiten. Künstler wären mit der Anforderung, zur Lösung der Globalisierungs-Problematik beizutragen, ebenso überfordert, wie Kuratoren, die beinahe zeitgleich an mehreren verschiedenen Orten der Welt intervenieren wollen. Bei aller Dynamik ist die Grundlage reflektierender Aneignung noch immer das kontemplative Moment und die Einlassung auf Vorgefundenes.

Identifikationsfiguren

Mit der Feststellung, dass "Kunst" als Darstellung "Welt" (im Sinne des Welt-Alters) hervortreten lässt, wie sie zugleich von jener dazu aufgerufen ist, wurde bereits deutlich, dass die künstlerische Handlung eine Form von Interdependenz darstellt, die weit entfernt ist von der souveränen Intervention und vielmehr als gegenseitige In-Kraft-Setzung verstanden werden muss. Zusammen gesehen mit der Erkenntnis, dass Subjektivation eine Form der Ermächtigung in der Verfehlung und Unterwerfung ist, eignen sich die Beobachtungen an der parallelen Entwicklung von Institutionskritik und unabhängigen Kuratoren zu einer Klärung der Frage nach den Möglichkeiten von engagierter Gestaltung heute. Nicht nur in Ausstellungen (wie der Schau aktueller Aktivisten "hardcore" im Pariser Palais de Tokyo, 2003), sondern auch in konkreten interventionistischen und aktivistischen Projekten nehmen aktuell immer mehr Künstler an der Globalisierungs-Kritik teil (vgl. Royer 2001 ; Sennewald 2003 ; Sennewald 2002).
Kuratoren und Künstler selbst sind Faktoren der "Globalisierung". Wie in den 80er Jahren die Künstler, als "Überlebenskünstler" und Patchwork-Arbeiter, als Kultur-Arbeiter im Post-Fordismus, die qua Berufswahl dazu gezwungen sind, immer mehrere Jobs auszuüben, gleichsam zum Idealtypus des "flexiblen Menschen" geworden sind (vgl. von Osten 2000 ; Sennett 2001), so kann den global agierenden Kuratoren eine Vorbild-Funktion des globalisierten Bürgers zugewiesen werden.
Sie machen vor, wie mit Globalisierung umgegangen werden und beschleunigen, in persona darstellend, was als "Globalisierung" verstanden werden kann, selbst erst den Prozess der weltweiten Intensivierung von Interdependenz. Es handelt sich also nicht, wie in den Kritiken an den Reise-Kuratoren angeklungen ist, um eine Abbildung bestehender Herrschafts-Strukturen, sondern vielmehr um die Darstellung dieser Strukturen und damit um deren In-die-Welt-Setzen. Künstler wie Kuratoren agieren als jenes Bild, das als Membran den Blick auf Geschichte lenkt und zugleich das Begehren erzeugt, sich diese so dargestellte Welt anzueignen. Ein Begehren, das sich nicht zuletzt in den erwähnten Reaktionen des Kunstmarktes manifestiert und, wie gezeigt, das, wonach es greift, immer verfehlt, auf diese Weise die Verspannung Ich – Bild – Symbol aufrechterhaltend.

Die Welt als Ort

Kuratoren erarbeiten Dispositive und werden selbst zum Dispositiv einer "Globalisierung", die sich als Bild im Identifikationsmuster verwirklicht. Biennalen und andere medienwirksame Ausstellungen in bisher als jenseits der eigenen Kultur wahrgenommenen Ländern schaffen Topoi, die als Referenzpunkt der "Globalisierung" dienen. Bereits im Zusammenhang mit ihrer im Centre Pompidou 1990 realisierten Ausstellung "Passages de l’image" sprach die Kuratorin Catherine David, später Direktorin der documenta X, von einer "Krise de Bildes"
und fuhr fort : "Es dreht sich um die Strategien des zeitgenössischen Bildes, und die sind nicht mehr dazu da, schön zu sein oder um uns zu erfreuen. Es sind Strategien gegenüber einem bestimmten Zustand der Medien, gegenüber bestimmten politischen Momenten, gegenüber der herrschenden Kultur" (Haase 1996, zit. nach Rekade 2001). Wie in einem Taschenlampenstrahl, der auf der Welt-Oberfläche umhertastet, treten die jeweiligen Konstellationen hervor, um, sobald die Suche weitergeht, wieder im Dunkel zu verschwinden. Doch sie bleiben vom einmaligen Auftauchen nicht unverändert, werden, als Topos, zum Bestandteil einer "Welt", die sich in den Ordnungen ihrer Verweisstrukturen – eines Globus, der sich im Auge – erkennt.
"Alle Gestalten unserer Welt sind verändert, weil eine von ihnen ihrer einfachen Seinsweise entrissen worden ist, um alles andern zu repräsentieren und zum Schlüssel oder zum Stil dieser Welt zu werden, zum allgemeinen Mittel ihrer Interpretation" (Merleau-Ponty 1993 : 148). "Welt" selbst ist eine solche "Gestalt", mit der interpretierbar werden soll, was uns begegnet. Die kuratorisch/künstlerisch engagierte Arbeit ist gleichsam das "Flimmern" um diese allgemeine Interpretationsarbeit herum. Mit ihm wird die Welt (Globus) neu betrachtbar, erhält andere Aspekte und neue Ding-Qualitäten. Die Ich-Welt (Mundus) wird ihrerseits verändert, indem sie durch Vorbilder angereichert wird, Identifikationsangebote erhält.
Der entscheidende Unterschied zu anderen Darstellungs-Bewegungen ist nun, dass den aktuellen Bewegungen "Welt" selbst zum Topos, zum Bezugs-Ort wird. Künstler wie Kuratoren beziehen sich in ihrer Arbeit nicht mehr allein auf "Welt" im abstrakten Sinne einer Summe der gemeinsam geteilten Erscheinungen, sondern auch und explizit mit Gestaltungs- und Interventions-Absicht auf Welt im Sinne des Globus. An der oben skizzierten Aufstellung, wonach Ding-Welt und Ich-Welt durch das zwischen ihnen stehende Bild aufeinander bezogen und im Begehren des Subjekts miteinander verspannt werden, ändert dieses neue sujet freilich nichts. Nach wie vor liegt "Welt" als "Welt-Alter", als jenes, das uns angeht, das uns anhängt, um uns liegt und uns berührt, dazwischen. Ist "Welt" im Gefüge der Welt-Darstellung das Nicht-Darstellbare, nämlich die Darstellung selbst. Auf die Globalisierungsfrage kann auch aus der Perspektive der Kunst nur eine Frage antworten : Wie gestalte ich meine Welt ?
Zugleich ist deutlich geworden, dass mit jeder Zuwendung zu "Welt" diese sich verändert. Eine Darstellungs-Arbeit, die sich auf Zwischenräume, auf Prozesse und Bewegungen konzentriert, wird daher adäquat auf eine Globalisierung antworten, die gleichsam die Reflexion dieser Arbeit ist. Eine distanziert-kontrollierende Gestaltung von Globalisierung wird es nicht geben können. Sie würde aus der Haltung jenes einäugigen Subjekts unternommen, das zwangsläufig verfehlt, was es begehrt. Vielmehr lässt die Auseinandersetzung mit dem Welt-Bild erkennen, dass nur ein Umgang mit Globalisierung diese auch modifiziert. Zuwendung, Vor- und Darstellung sind die Modi, mit denen sich "Welt" gestaltet. Sie schmiegt sich als "Nessoshemd" jeder unserer Bewegungen an. Es ist an uns, statt es uns vom Leib reißen oder zu unseren Füßen gleiten lassen zu wollen, dieses Hemd mit Bewegung zu erfüllen.

Notes

[1"Héroïne démultipliable de l’inquiétante étrangeté, elle nous fait don d’"arrière-ressemblances" où tous les temps, soudain, se mettent à danser ensemble. Et où toutes ses incarnations possibles viennent de mêler comme en un rêve. […] Car Ninfa ne va jamais "quelque part". Toujours elle surgit dans le présent du regard, toujours ce surgissement dévoile un éternel retour."-

[2"Sicher, kaum hat dieser [der Maler, JES] sein System von Äquivalenzen dem Schauspiel der Welt abgerungen, versetzt er es wieder in Farben, in einen Raum, auf eine Leinwand ; der Sinn prägt sich eher dem Bild ein, als daß das Bild ihn ausdrückt. […] Der Sinn sickert eher ein in das Bild, bewohnt es oder sucht es heim und flimmert eher "wie Hitzedunst" [Sartre, JES] um es herum, als daß er durch es sichtbar würde."-

[3Rekade 2001 liefert in der Einleitung eine gute Übersicht über die bisher vorliegende Literatur zum Thema der freien Kuratoren und Kuratorinnen. Der größere Teil der Diskussion des Phänomens liegt als Zeitschriften-Artikel oder Interviews vor.

Voir en ligne : Mondialisierungen. "Globalisierung" im Lichte transdisziplinärer Reflexionen

Ce texte a été publié pour la première fois dans : Jens Badura (dir.), Mondialisierungen. "Globalisierung" im Lichte transdisziplinärer Reflexionen, Bielefeld : transcript 2006, 281-300